Zucht & Haltung

Was beim Verpaaren zu beachten ist
Natürlich nimmt ein jeder Züchter zur Zucht nur solche Kaninchen, die gesund und lebenskräftig sind. Und dazu sollten sie die rassischen Merkmale in bester Weise zeigen. Leider wartet die Natur hier mit einem „Haken“ auf, indem das äusserliche Erscheinungsbild, das wir Phänotyp nennen, nicht mit dem Erbwert eines Tieres, seinem Genotyp, übereinstimmen muss. Dies bedeutet in der Zuchtpraxis, dass ein vorzüglich erscheinendes Rassekaninchen zwar sehr wohl günstige Nachkommen bringen kann, andererseits kann es aber auch passieren, dass keine besonders guten Nachkommen im Sinnes des Musterbildes nachgezogen werden. 
Diesem Dilemma möchte jeder Züchter natürlich gerne entgehen. Die erste Voraussetzung ist es, die eigene Zucht auf Vordermann zu bringen. Es nützt leider nur wenig (oder gar nichts), wenn man sich ein „Sammelsurium“ vermeintlich hochwertiger Kaninchen einer Rasse von vielen Züchtern zulegt. Die Erfahrung lehrt, dass diese Tiere in den Verpaarungen aufspalten. Das heisst, ein jedes Kaninchen bringt bestimmte Anlagen mit, die es an seine Nachkommen vererbt. Es kann sein, dass uns das zufällig in den Plan passt, also im Sinne des Standards vorteilhaft ist, doch leider ist es zumeist so, dass die Nachzuchten solcher für sich gesehen „guten“ Zuchttiere im Sinne des Standards aber tatsächlich Jungtiere sind, mit denen wenig anzufangen ist, weil sie nach der einen oder andern Seite „ausschlagen“ die uns leider nur wenig erfreut.
Dieser allbekannten Schwierigkeit begegnet man als Züchter, indem man sich selbst einen Zuchtstamm schafft, der nach den Vorgaben der Musterbeschreibung „eingeengt“ ist und somit Nachkommen hervorbringt, die im Hinblick auf das gedachte Vorbild möglichst günstig sind. Die Kunst besteht also nicht etwa darin, eine natürliche Vielfalt zu erzeugen, sondern eine Nachzucht zu erlangen, die dem gedachten Idealbild auf breiter Basis gleichmässig nahekommt. Und genau das lässt sich über eine genetische Einengung erreichen. Man hat also am Ende eines solchen Zuchtgeschehens Tiere, die untereinander gleichartig aussehen und miteinander verpaart, auch immer wieder recht gleichartige Nachkommen bringen.
Hierzu Beispiele aus der Natur: Die Natur „streut“. Ein jedes Lebewesen ist ein „Versuch“, es bestmöglich für das Überleben auszustatten. Wenn beispielsweise alle Bäume einer Art zur selben Zeit blühen würden, könnte eine einzige Frostnacht die gesamte Blüte dieser Baumart zunichte machen, damit aber auch die Früchte zur weiteren Vermehrung. Blüht ein Baum aber etwas früher, der andere hingegen etwas später, so entgehen deren Blüten dieser Vernichtung: Die Blüten beider Bäume werden fruchten, und die Nachkommenschaft ist somit gesichert. Deswegen blühen und fruchten Wildobstarten immer ein wenig unterschiedlich. Viele Zier- und Gartenblumen hingegen sind so gezüchtet, dass eine bestimmte Sorte stets zur selben Zeit blüht und fruchtet. Auch Wildgräser, die Vorfahren unserer Getreidearten, blühen und fruchten unterschiedlich. Die Zuchtsorten hingegen blühen und fruchten zur selben Zeit, denn sonst könnte man sie kaum zugleich ernten. Wildarten entgehen also zufälligen Klimaschwankungen durch eine Vielfalt an Blühterminen bei ein und derselben Art.
Übertragen auf das Wildkaninchen hiesse dies, dass ein jedes Tier ein wenig unterschiedlich, zum Beispiel in der Farbe, im Verhalten, in seiner Vitalität oder in allen möglichen Formen der Erscheinung ist. Dies genau will der Rassenzüchter aber nicht: Er möchte, dass seine Rassekaninchen dem Standard in möglichst grosser Anzahl näherkommen. Er betreibt also eine Einengung der biologischen Vielfalt zugunsten des Musterbildes. Nimmt man nun ein fremdes Rassetier in die eigene Zucht, so wird die Einheitlichkeit einer Linie „gestört“, es kommt womöglich zur unerwünschten Aufspaltung, die viele Möglichkeiten offen lässt.
Es kommt daher in der Zucht nicht darauf an, einzelne hochbewertete Tiere zu besitzen, sonder möglichst ganze Stämme und Linien, die auf demselben hohen Stand im Sinne der Musterbeschreibung sind. Dementsprechend muss man sich Aufzeichnungen machen. Und es ist lächerlich, wie manche Züchter meinen, alles „im Kopf behalten“ zu können.
Wird nun ein fremdes Zuchtkaninchen eingestellt, so müsste man zunächst wissen, wie seine Erbeigenschaften sind, ob es in die eigenen Linien passt. Daher sind Probepaarungen von Vorteil. Denn es kann sein, dass durch dieses „Einkreuzen“ unerwünschte Eigenschaften eingeschleppt werden, die sich durchaus erst nach Generationen zeigen. Rückschläge wären dann die schlimme Folge! Daher bleiben viele Züchter ihren Zuchtlinien über viele Generationen treu und versuchen auf mühsame Weise, erst die eine, dann die nächste negative Eigenschaft im Stamm auszulöschen, so dass das Weiterkommen in kleinen Schritten vor sich geht. Der „grosse Sprung“ bleibt dann meist aus oder kann nur zufällig erreicht werden. Der lange Züchteratem aber zahlt sich insofern aus, als dass man im Verlauf der Zeit wirklich „durchgezüchtete“ Linien erhält, die dann auch das erreichte Niveau halten.
Ein alter Fehler ist dann aber, dass man die Vitaleigenschaften der Kaninchen vergisst und nur auf die äusserlichen Merkmale im Sinn der Musterbeschreiung gezüchtete hat. Doch dies kann ein gefährlicher Nachteil sein, denn neben den Standardmerkmalen ist auch auf Merkmale der Lebenskraft zu achten: Diese stehen im Grunde weit höher an, sind sie doch für das Überleben, das Wohl und Wehe einer Rasse verantwortlich. Denn was wollte man mit „schönen“, aber kränklichen Tieren?
Bei der Entstehung mancher Rassen war es von ausschlaggebender Bedeutung, ihnen zunächst einmal die Vitalitätsmerkmale mitzugeben, erst nach und nach konnten dann die andern Feinheiten einer Rasse vermittelt werden. So sind neben den Rassemerkmalen vor allem die Mutter- und Zuchteigenschaften, die Widerstandskraft und allgemeine Robustheit, die Frohwüchsigkeit oder die wirtschaftliche Leistungsstärke zu beachten. Auch gute Wurfzahlen und Milchreichtum bei den Häsinnen wären solche wichtigen Merkmale, die der Lebenskraft einer Kaninchenrasse förderlich sind.

Quelle: KANINCHENZEITUNG 2/2010, ZUCHT UND HALTUNG, Verfasser: A. Skotnicki